Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
wir stellen folgenden Antrag:
Die Stadtverwaltung wird beauftragt, eine Definition des Begriffs „Verkehrswende“ zu entwickeln, die Klarheit in Bezug auf den möglichen technischen, gesellschaftlichen, politischen und eigentumsrechtlichen Bedeutungsgehalt schafft. Diese Definition ist im Schriftverkehr der Verwaltung soweit möglich zu verwenden und ihre Verwendung auch bei Auftragsvergaben seitens der Verwaltung Dritten aufzuerlegen. Abweichungen vom definierten Bedeutungsgehalt sind ggf. klar darzulegen.
Begründung
Der Begriff „Verkehrswende“ ist nicht eindeutig definiert. Selbst in der Fachliteratur wird der Begriff höchst unterschiedlich verwendet. Während manche Autoren darunter die Elektrifizierung, Digitalisierung und Vernetzung aller Verkehrsmittel (1) verstehen, heben andere darauf ab, dass ein bloßer Wechsel der Antriebstechnologie nicht ausreicht, um z.B. die Pariser Klimaziele zu erreichen, sondern eine Änderung des modalen Splits zwischen den Verkehrsmitteln erforderlich sein. Andere Autoren fordern unter dem Begriff „Verkehrswende“ eine tiefgreifende Veränderung im individuellen Verhalten der Verkehrsteilnehmer (2). Im politisch linksextremen Spektrum wird die Verkehrswende gar mit veränderten Eigentumsverhältnissen in einen Zusammenhang gebracht und privates Eigentum an Verkehrsmitteln in Frage gestellt.
Die Unbestimmtheit des Begriffs macht seine Verwendung im Schriftverkehr der Verwaltung hoch problematisch. Wenn der Stadtrat die Verwaltung mit der Erarbeitung verkehrspolitischer Maßnahmen auf Grundlage der Klimastudie beauftragt, die fordert „eine Verkehrswende einzuleiten“ (BSV/21/06666), macht es einen erheblichen Unterschied, ob damit der Ausbau von Ladeinfrastruktur (Antriebswechsel), der Ausbau des Nahverkehrs (Veränderung des modalen Split) oder eine Reduzierung von Parkplätzen oder Sperrung von Straßen für den motorisierten Individualverkehr (Verhaltensänderungen) gemeint ist.
Zwar mag es die Zustimmung zu Beschlussvorlagen erhöhen, wenn sich Stadtratsmitglieder mit unterschiedlichen Weltanschauungen scheinbar unter einem Begriff wiederfinden. Dennoch ist ein nicht näher definierter Begriff wie „Verkehrswende“ nicht geeignet, Beschlussvorlagen der Stadt Augsburg die Klarheit und Verständlichkeit zu verleihen, die nach dem Bestimmtheitsgrundsatz notwendig sind. Damit Stadtratsmitglieder erkennen können, welche Beschlüsse sie mit der Zustimmung zu einer Beschlussvorlage eigentlich treffen, sollten die gewählten Begriffe nicht nur im Tenor, sondern auch in der Begründung unzweideutig sein.
(1) Henning Kagermann: Die Mobilitätswende: Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, vernetzt und automatisiert; Springer Berlin Heidelberg 2017
(2) Jutta Deffner, Konrad Götz u.a.: Nachhaltige Mobilitätskultur in Hessen gestalten; in: WISO Diskursa 02/2017, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn 20